Führung: Klarheit statt Harmonie.
Als Führungskraft sind wir gewohnt, die Richtung vorzugeben und Entscheidungen zu treffen. Die interessante Frage ist: Wie klar sind wir dabei wirklich? Wo haben wir Themen, bei denen wir weggucken, um (vermeintlichen) Konflikte auszuweichen oder als nette:r Chef:in zu gelten?
Angelika M. hat ein kleines Unternehmen. Als „gute“ Chefin will sie ihren überwiegend jüngeren Mitarbeiter(inne)n Work-Life-Balance ermöglichen. Deshalb lässt sie bei der Gestaltung der Arbeitszeiten viel Freiheit. Das Team darf es untereinander klären, wer wann arbeitet.
Im Großen und Ganzen klappt es auch. Bis auf manchmal. Zum Beispiel an den Tagen vor den Veranstaltungen. Eigentlich müssten alle Mitarbeiter/innen da sein, damit die Arbeit zu bewältigen ist. Aber Angelika will sich nicht einmischen, also sitzt sie oft selbst abends noch lange im Büro, um die restlichen Arbeiten zu erledigen. Rational sagt sie sich, dass das ok ist, weil die anderen ja noch kleine Kinder haben… und sie hat ja Verständnis für die Situation junger Mütter… und es haut ja auch immer irgendwie hin. Aber am nächsten Tag gibt sie den Mitarbeiter(inne)n unbewusst zu verstehen, dass sie sich Hilfe gewünscht hätte. Erwähnt „nebenbei“, wie lange sie noch gesessen hat. Und wiegelt gleichzeitig mit einem Seufzer ab – ist ja schon ok.
Gleiches bei der Urlaubsplanung, die ist nicht ideal. Und ob alle Arbeiten konzentriert durchgeführt werden, bezweifelt Angelika langsam auch. Es passieren doch viele Fehler… Es beginnt zu knirschen im Team. Angelika ist enttäuscht. Da gibt sie ihren Mitarbeiter/innen alle Freiheit und die wissen das nicht zu schätzen, sind auch noch undankbar...
Was passiert?
Der Wunsch, von ihren Mitarbeiter(inne)n als gute und verständnisvolle Chefin gesehen zu werden, hindert Angelika daran, ihre eigenen Bedürfnisse klar zu formulieren. Doch insgeheim hofft sie, dass die Mitarbeiter/innen das tun, was sie gerne hätte, aber nicht formuliert: klare Absprachen, wer wann arbeitet und dass zum Beispiel am Veranstaltungsvortag alle Mitarbeiter/innen anwesend sind und helfen. So wächst in Angelika latent ein ungutes Gefühl. Unbewusst fängt sie an zu manipulieren. Hier eine Bemerkung, da ein Seufzer…Bei Fehlern reagiert sie genervt. Sie ist häufiger innerlich unzufrieden, versucht jedoch, das nach außen zu verbergen, weil ihre Mitarbeiter/innen ja nichts dafür können, wie sie meint. Die aber spüren es, haben das Gefühl, sie machen etwas falsch, ohne zu wissen, was es sein könnte.
Was steckt dahinter?
Grundsätzlich einmal möchten wir alle anerkannt und geliebt werden. Also richten wir unser Tun darauf aus, was anderen gefällt. Das ist ganz normal – es hat uns in unserer Kindheit das Überleben gesichert. Denn als ganz kleines Kind waren wir davon abhängig, dass sich andere um uns kümmern, uns versorgen. Die (unbewusste) Angst dahinter: „Wenn ich nicht lieb bin, kümmern sich die anderen nicht um mich. Dann bin ich allein. Und wenn ich allein bin, muss ich sterben.“
Wir haben uns also angepasst und nach den anderen gerichtet – und wir haben überlebt. So haben wir die tiefe Erfahrung gewonnen, dass dieses wohl ein sinnvolles Verhalten ist. Und deshalb wenden wir es immer wieder an. Auch dann, wenn wir etwas von anderen haben möchten.
Wir werden oder machen andere also häufig vom Subjekt zum Objekt, wie es der Neurowissenschaftler Prof. Gerald Hüther beschreibt. Diese Art von Beeinflussung beginnt schon sehr früh. Während ganz kleine Kinder noch mit großer innerer Freude und unbeeinflusst von anzustrebenden Zielen lernen (dürfen), z. B. Laufen oder Sprechen, treten bald schon die Wünsche der Eltern in den Vordergrund. In bester Absicht „lenken“ uns die Eltern in die Richtung, die sie für gut und unterstützenswert halten.
Zum Beispiel: „Dein Bruder schimpft immer so viel, wenn er was tun soll. Aber du bist ein liebes Mädchen und hilfst mir gerne, nicht wahr?“ „Wenn du brav bist und deine Hausaufgaben machst, ist der Papa stolz auf dich!“
Im Berufsalltag hört sich das dann so an:
„Gut, dass du noch da bist! Diese Präsentation muss bis morgen fertig werden. Ich weiß, DU lässt mich nicht im Stich, DU bist mir immer eine verlässliche Hilfe. Ich hole mal schnell die Unterlagen und dann powern wir los, ok?“
Raus aus der Harmoniefalle!
Selbst wenn wir uns die im Hintergrund ablaufenden Prozesse bewusst machen, wird es Unbehagen erzeugen, unsere Bedürfnisse klar zu formulieren Wir können an dieser Stelle Unbehagen nicht vermeiden, denn mit dem Formulieren der Bedürfnisse machen wir uns verletzlich – es kann ja sein, dass wir auf Ablehnung stoßen. Und dann haben wir (vermeintlich) einen Konflikt. Doch nur so kann Klarheit über die unterschiedlichen Bedürfnisse entstehen und das führt zu Freiheit. Im Falle von Angelika: Wenn die Mitarbeiter:innen Angelikas Wünsche kennen, können sie sie einplanen. Angelika muss nicht mehr indirekte Methoden verwenden, um zu erhalten, was sie braucht. So kann Angelika ihre Mitarbeiter:innen loslassen, ihnen Freiheit schenken. Und das macht auch sie innerlich freier.